NOTFALL – was tun?

Notfallmanagement – einmal tief durchatmen

So weit weg? Ist das nicht viel zu gefährlich? Und das auch noch mit Kindern. Es hilft nichts, man sollte sich vor einer Fernreise mit oder ohne Kinder auch mit unangenehmen Gedanken beschäftigen. Passieren kann immer was, Menschen machen Fehler. Auch Ihr! Mit dieser Wahrheit sollte man sich vertraut machen und sie akzeptieren. Wenn man über Notfälle nachdenkt, dann gibt es drei Aspekte, mit denen man sich beschäftigen sollte. Risiko, Prophylaxe und Notfallmanagement.

Aber Moment, wer bin ich überhaupt, Euch in so wichtigen Dingen Ratschläge zu geben? Ihr sollt wissen, warum ich bei diesem Thema wirklich weiß, worüber ich rede. Als Intensivmediziner und Notarzt habe ich tagtäglich mit Extremsituationen zu tun. Rettungen nach Unfällen und die Behandlung von lebensbedrohlichen Erkrankungen erfordern neben gutem Training, Ausbildung und Erfahrung auch eine gewisse Methodik, damit man es schafft, auch in hochdynamischen Situationen die Ruhe zu behalten. Hektik und Panik sind schlechte Ratgeber. Neben meiner Facharztausbildung und den Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin sowie Intensivmedizin habe ich mich unter anderem mit Crew bzw. Team Ressource Management beschäftigt und bin PHTLS sowie ERC Provider. Ebenso gehören Kindernotfälle (u.a. DIVI Kindernotfallkurs) zu meinen regelmäßigen Trainings. Auch in meiner Freizeit begebe ich mich beim Klettern und im freien Skiraum immer wieder in Situationen, in denen man einen kühlen Kopf bewahren muss.

Fangen wir mit dem Risiko an. Wir finden, man sollte sich mit dem auseinander setzen, was man vorhat. Ihr steckt großen Aufwand in die Vorbereitung eures mobilen zu Hauses, beantragt Visa, stellt Ausrüstung zusammen, plant eine Route und so weiter. So schön eine Reise, Vanlife, wildcampen, Freiheit und Lebenslust auch ist, bereitet auch euer Risiko vor. Seht euch an, welche Länder auf eurer Route liegen, wie die politische Lage ist, wie die medizinische Versorgung ist.

Dann setzt euch zusammen und legt für euch fest, welche Risiken ihr bereit seid einzugehen, was ihr für euch und ggf. Für eure Kinder in Kauf nehmen würdet. Hier hilft oft der Gedanke: was ist das Schlimmste was passieren könnte und wie wahrscheinlich ist das. Manchmal kommt dann ein tüchtiger Dämpfer und die Laune sinkt, aber das ist gar nicht nötig. Denn wenn man sich mit möglichen Gefahren auseinander gesetzt hat, wenn man sie kennt und bedacht hat, dann ist man deutlich sicherer unterwegs, als wenn man alles verdrängt und blind nach dem kölner Motto:“Et hät‘ noch emmer jot jejange“ verfährt.

Und nur mit dem Nachdenken über Risiko ist man schon bei dem wichtigsten Thema: Prophylaxe. Unter diesem Aspekt ist es wichtig, früh und planvoll sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Klar könnt ihr in euer Expeditionsmobil Tonnen von medizinischem Equipment und anderen Spielsachen packen, das ist sogar hilfreich, wenn ihr wirklich damit umgehen könnt, aber die effizienteste Methode mit Notfällen umzugehen ist es, einen Solchen zu vermeiden.

Ihr habt die Möglichkeit entweder euer Verhalten zu modizfizieren – zum Beispiel: Ihr geht in den österreichischen Alpen auf dem Mountainbike an euer Limit. Rettungshubschrauber und Level 1 Traumazentrum sind in der Nähe. Man hat also, auch wenn es gefährlich bleibt und niemand als Polytrauma enden möchte, einen doppelten Boden in der Nähe. Ihr seid in Kirgistan und seht einige Trails vor euch. Jetzt könnt ihr wieder an eure Grenze gehen, die Entscheidung liegt immer nur bei euch, aber ist das sinnvoll? Wäre es nicht besser eine Route zu wählen die man sicher beherrscht. So könnte man Spaß am Biken und ein sinnvoll kalkuliertes Risiko kombinieren.

Die nächste Möglichkeit ist die Präzision von Informationen. Um so mehr Informationen ihr habt, um so bessere und grenzwertigere Entscheidungen könnt ihr treffen. Wieder das Beispiel Österreich und Kirgisien: Ihr seid off-pist im freien Skiraum unterwegs. In Österreich habt ihr einen ausgefeilten Lawinenlagebericht, kennt vielleicht euren Hausberg und habt einen geprüften Führer dabei. Dazu noch die Einzelhangbewertung. Mit all diesen Infos könnt ihr dann vielleicht einen steilen Powderhang befahren, weil ihr ihn gut einschätzen könnt. In Kirgisien sollte man deutlich konservativer entscheiden, denn ihr habt vielleicht nur eure Augen und Ohren, wisst nichts über das vergangene Wetter und vielleicht hat noch nie vor euch jemand diesen Hang befahren. Hier ist es unserer Meinung nach sinnvoll, weniger steile Hänge zu befahren, auch wenn die anderen vielleicht sicher wären – man weiß es aber nicht.

Was bedeutet das für unsere Reise? Beschafft euch Informationen. Wo ist das nächste große Krankenhaus? Wie komme ich da hin? Wie sind die Notrufnummern? Welche spezifische Gefahren gibt es (giftige Tiere, Unwetter, Rebellen, Kriminelle u.a.) und wie kann ich sie vermeiden? Was eure Kinder betrifft, so tragt ihr für eure Schützlinge die Verantwortung und hier gilt: Um so weiter entfernt man von der Zivilisation ist, um so besser müsst ihr sie im Auge behalten. Direkt neben Fes hat man beste Chancen den Biss einer Stülpnasenotter oder den Stich eines Skorpions zu überleben. Da kann man die Zügel nicht ganz frei geben, aber etwas lockerer halten. Mitten in der marokkanischen Wüste, kann das aber zum Problem werden.

Angemessenes Verhalten ist also gefragt. Wer ständig Angst hat und die Kinder nicht spielen lässt oder nur im Wohnmobil hockt, für den ist so eine Reise nichts. Wer hingegen Gefahren ignoriert und leichtsinnig ist, hat schnell ein böses erwachen. Hinterfragt in neuen Situationen und Gegenden euer Verhalten und passt es an, dann seid ihr auf dem besten Weg.

Wenn wir aber jetzt unser Bestes gegeben haben um Notfälle zu vermeiden, kann es mit Pech immer und überall passieren (egal ob zu Hause oder auf Reisen), dass es trotz Prophylaxe und Hirnschmalz zu einer Notfallsituation kommt. Egal ob jetzt ein Unfall, ein Biss, eine Krankheit oder welcher Schaden auch immer, am wichtigsten ist: Ruhe bewahren. Einmal tief durchatmen, Ruhe bewahren. Panik hindert uns an effektivem Handeln und macht alles schlimmer. Auch wenn es schwer fällt, jetzt muss man sich zusammenreißen, auch und vor allem für seine Lieben.

Das Schema ist einfach und man sollte sich vor der Reise darüber unterhalten, wie man es verwirklicht und – so weit möglich – üben.

  1. Akute Bedrohung? – > tief durchatmen, macht Euch handlungsfähig es geht um Eure Liebsten. Bedrohung, wenn möglich, so schnell wie es geht ausschalten (z.B. Akute Blutung stoppen, Schlange töten, aus dem Bereich einer Lawine fliehen).

  2. Bestandsaufnahme in der Situation: Was ist passiert, wer ist betroffen, wie gefährlich ist das für Leib / Leben / Extremitäten / Sachwerte?

  3. Ressourcen: Bin ich darauf vorbereitet? Habe ich einen Plan – > umsetzen. Ist Hilfe vor Ort, wen kann ich einbinden? Wie kann ich Hilfe organisieren? – > Hilfe holen. Gibt es noch keinen, dann Plan machen -> umsetzen.

  4. Aktion: z.B. Verletzte Person bergen, Brüche schienen, Transport organisieren, giftiges Tier fotographieren / töten, nasse Kleider bei Eiseinbruch entfernen und wärmen, Schatten und viel trinken bei Hitzschlag, Auto vor Flut vom Strand entfernen, abgetrennte Extremität einsammeln und wenn möglich steril/keimarm/gekühlt verpacken, verstauchten Knöchel hochlegen und intermittierend kühlen (10 min. kühlen, 10 min. Pause), Bei Überfall Ruhe bewahren und Wertsachen abgeben, etc.

Wenn ihr den Überblick verliert, fangt einfach wieder bei Punkt 1 an.

Punkt 3. und 4. lassen sich je nach eigenen Fähigkeiten auch gut vorbereiten. Medizinische Ausrüstung sollte man aber nur nach Kenntnissen mitnehmen und einsetzen. Als Anästhesist, Notarzt und Intensivmediziner habe ich eine andere Ausrüstung dabei als ein Bäcker, Banker, Polizist, Politikerin, Lehrerin, Profisportlerin… Hier gilt: kenne deine Ausrüstung, vertraue auf deine Fähigkeiten und wenn du nicht weiterkommst: hol Hilfe oder begebe dich, so schnell es geht, zur Hilfe.

Einige grundsätzliche Kenntnisse in erster Hilfe und Gefahrenvermeidung sollte man sich vor einer großen Reise aneignen, um so mehr, je einsamer die Gegenden sind und um so größer die potentiellen Risiken. Aber um das noch mal ganz klar zu sagen, mit guter Vorbereitung und sinnvoller Prophylaxe sind auch Langzeitreisen in einsame Gegenden sicher möglich, also lasst euch nicht durch unbegründete Ängste und Zweifel aufhalten.